Freitag, 16. Juli 2010

Bauten aus der NS-Zeit – Wie damit heute umgehen?

Mit dem Sieg der Alliierten über die nationalsozialistische Diktatur, mit der Verurteilung der Kriegsverbrecher und mit der kritischen Auseinandersetzung mit der historischen Vergangenheit in Deutschland sind noch immer nicht alle Spuren der Nazis aufgearbeitet worden.
Während des Dritten Reiches wurden viele Gebäude errichtet, die damals einen starken symbolträchtigen Charakter hatten und die Macht und Herrschaft der Nationalsozialisten auch in materieller Hinsicht beweisen sollten. Als gravierendes Beispiel gilt hier sicherlich das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Das Gelände ist eine der größten baulichen Hinterlassenschaften der NS Zeit in Deutschland (die Gesamtfläche beträgt immerhin 16,5 km2) und besaß zwischen 1933 und 1945 außerdem eine einzigartige Repräsentations- und Propagandafunktion. Die auf dem Gelände abgehaltenen Reichsparteitage waren weniger parteiinterne Versammlungen mit politischen Themen, sondern dienten in erster Linie der Demonstration von Macht und dem Erzeugen eines Gefühls von nationalsozialistischer „Volksgemeinschaft“ und waren demnach ein kaum zu überschätzendes Propagandamittel der NSDAP.
Wie sieht nun nach dem Ende der NS-Zeit der „richtige“ Weg im Umgang mit solchen Geländen aus? Am Beispiel vom Nürnberger Reichsparteitagsgelände möchte ich Möglichkeiten vorstellen, die zeigen, dass es im Laufe der Nachkriegszeit immer wieder zu Interessenverschiebungen und unterschiedlichen Haltungen gegenüber der NS-Architektur kam.
In den ersten Jahren nach 1945 riss man viele Gebäude schlichtweg ab. So wurde 1959 die Luitpoldarena, eine riesige Fläche, die zu Aufmärschen und Propagandareden genutzt wurde, abgerissen. Die dadurch entstandene Fläche wurde in einen begrünten Erholungspark zurück verwandelt. Bei dieser radikalen Lösung droht jedoch die Gefahr, die historische Vergangenheit, die in diesem Ort besonders präsent ist, einfach zu verdrängen und mit abzureißen. Eine reflektierte Vergangenheitsaufarbeitung ist jedoch unentbehrlich und kann gerade an authentischen historischen Orten erleichtert werden. Zudem wurde von Seiten des Denkmalschutzes der Einwand laut, den architektonischen Wert solcher Gebäude zu würdigen. Aus diesem Grund wurden Teile des Geländes 1973 sogar unter Denkmalschutz gestellt.

Die nie vollendete Kongresshalle, in der die eigentlichen Parteitage hätten stattfinden sollen, wurde lange Zeit zu städtischen Ausstellungszwecken oder als Lagerplatz weiter genutzt. Auch andere Plätze des Reichsparteitagsgeländes wurden in pragmatischer Weise in die Gegenwart einbezogen: Die Große Straße, Hauptachse des Geländes, fungiert heute als Parkplatz. Auf dem Märzfeld, dem 600.000 m2 großen Platz, auf dem mächtige Manöver der Wehrmacht vollzogen wurden, wurde in den 1960er Jahren eine Wohnsiedlung errichtet, die heute ein „ganz normaler“ Stadtteil Nürnbergs ist.
Der Plan, die Kongresshalle in ein riesiges Einkaufs- und Freizeitzentrum zu verwandeln, wurde 1987 glücklicherweise nie realisiert. Zu groß waren die moralischen Bedenken seitens der Bürgerschaft.
Eine weitere Möglichkeit möchte ich unter dem Stichpunkt „triviale Nutzung“ vorstellen. So wurden auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände bereits viele Rockkonzerte (Bob Dylan, Rolling Stones, etc.) oder weltliche und religiöse Veranstaltungen abgehalten. Auch beim jährlich stattfindenden Musikfestival „Rock im Park“ ist ein Teil des Geländes fester Bestandteil der Bühnen- und Zeltplätze.
Kritiker wenden gegen solche pragmatische und triviale Nutzungen ein, dass man dabei Gefahr laufe, den Ort zu verharmlosen. Das Gelände ist ein Symbol der Schreckensherrschaft der Nazis und ist überdies ein Zeugnis der breiten NSDAP-Anhängerschaft im Volk. So wurde zunehmend der Ruf laut, diesen Ort in einen historisch entsprechenden Rahmen zu betten.

Dieser Forderung wurde 2001 mit der Eröffnung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände nachgekommen. Das Dokuzentrum ist in der ehemaligen Kongresshalle stationiert und beherbergt neben einer Forschungsstätte auch ein Museum am „authentischen Ort“, das sich der allgemeinen NS-Geschichte mit dem Schwerpunkt Reichsparteitage widmet. Besonders die bauliche Umgestaltung des Gebäudes wird immer wieder gelobt. Der Grazer Architekt Günter Domenig schnitt die typische Granitfassade der Kongresshalle von oben bis unten auf und setzte dort einen Pfahl aus Stahl und Glas ein. So durchbricht der Pfahl mit modernen Materialen die starre Architektur der Nationalsozialisten und erzeugt dadurch sowohl einen symbolischen, als auch einen architektonischen Bruch mit der Gewalt und der Macht der Nazis.

Die kurze Darstellung über den Umgang einiger Bauten des Reichsparteitagsgeländes nach 1945 zeigt, dass im Laufe der Zeit unterschiedliche Sichtweisen aktuell waren. Ein größerer zeitlicher Abstand zum Dritten Reich, gesammelte Erfahrungen und breite Diskussionen führen immer noch dazu, dass Konzepte von früher verworfen, geändert oder aber beibehalten werden. Was nun der „richtige“ Umgang mit dem Gelände ist, ist ein komplexer Diskurs, der viel Sensibilität und historisches Urteilsvermögen bedarf. Ob man sich für eine pragmatische, eine kommerzielle oder triviale Nutzung entscheidet, Gebäude unverändert weiter nutzt oder abreißt, sie zu Gedenkstätten oder Museen am authentischen Ort umformt, sind Entscheidungen, die von Fall zu Fall getroffen werden müssen. Kaum eine Entscheidung ist dabei grundsätzlich von vornherein „richtig“ oder „falsch“. Darum ist es notwendig, solche Diskussionen nicht ruhen zu lassen, sondern immer wieder von Neuem die Frage stellen, ob dies oder jenes nun ein würdiger Umgang mit Geschichte ist. Das gilt nicht nur, aber sicherlich im Besonderen, für die nationalsozialistische Vergangenheit, aber ebenso auch für jedes andere Kapitel der Geschichte.
Franziska Götz
(In den Commons von Wikipedia finden sich weitere Bilder vom Reichsparteitaggelände. Die beiden Abbildungen dieses Textes stammen auch von dort.) 
(vgl. auch Erinnerungskultur)

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