Freitag, 22. Mai 2015

Wo sollte ausgestellt werden? In Berlin oder in Kamerun?

In "Humboldt-Forum", einem Magazin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, berichten die italienische Ethnologin Paola Ivanov und der US-Amerikaner Jonathan Fine in einem Interview  (S.22-24)darüber, wie sie die Ausstellung zu Afrika, wie sie ab 2019 im Humboldt Forum zu sehen sein wird, planen. (PI = Paola Ivanov; JF = Jonathan Fine) 

Paola Ivanov: Wir erzählen gleich die richtige Ge­schichte! Europa ist einfach nebensächlich. Wir blicken von Afrika aus. Ein Beispiel dieser Verflechtungen ist der In­dische Ozean als frühe globalisierte Welt, die auch die Küste Ostafrikas einschloss. Die Anrainer des Indischen Ozeans bilde­ten schon ab etwa 900/1000 n. Chr. ein Austauschnetzwerk von Ideen, Menschen und Gütern. Da verfolge ich dezidiert ei­nen südlichen Blick. Die Europäer sind die Eindringlinge, die Fremden. Der Han­del erfolgte weitgehend friedlich - und dann kamen die Portugiesen mit Waffen.

Haben Sie für diesen südlichen Blick auch mit anderen Kuratoren zusam­mengearbeitet?
pl Was den Indischen Ozean angeht, hat sich die Forschung ab den 1980er-Jahren entwickelt. Und das war nie eine eurozentrische Forschung. Einer ihrer Begrün­der, AbdulSheriff, mit dem ich mich viel ausgetauscht habe, kommt zum Beispiel aus Sansibar.

Sie stellen auch den prächtigen Perlen­thron des Herrschers von Bamum aus. Was kann man von diesem Objekt über das Verhältnis zu den deutschen Kolonialbesatzern erfahren? 
Jonathan Fine: Der Thron wurde von dem Vater des Bamum-Königs Njoya hergestellt, um Macht und Reichtum des Königreichs zu zeigen. Als die Deutschen dann kamen... 
... die Kamerun von 1884 bis 1918 be­setzt haben ...
JF... wurden sie von den Bamum-Leuten als Bedrohung wahrgenommen. Die Deutschen wollten den Thron haben. Der König hat verhandelt, und dann hat er ihn den Deutschen tatsächlich geschenkt. Aber so ein Geschenk ist nie etwas, was man nur aus reiner Freude macht... 
pl... sondern eine Gabe, die verpflichtet. Sagt Marcel Mauss.
JF Dieser Thron ist eine Gabe in diesem Sinne gewesen. Der König wollte eine politische Allianz mit Deutschland ein­gehen. Er wollte sich vielleicht dem Deut­schen Reich wie einem Fürstenbund 
an­schließen. Aber die Deutschen haben die Verpflichtung nicht verstanden - oder sie nicht verstehen wollen.
Sie haben Njoya ein empfindliches Musikinstrument* geschenkt, das schnell kaputtgegangen ist. Der König war tief enttäuscht. 
pl Da sieht man die Arroganz der Europä­er! Gaben tauscht man auf gleicher Ebene aus. Kaiser Wilhelm II. hat den Regenten von Bamum aber nicht als gleichberech­tigt anerkannt. Das war ja ein Novum, dass völlig verrückte Europäer kamen und sagten: Alles gehört uns, das Land, die Wälder, die Ressourcen - alles.
Wie gehen Sie generell mit dem Thema Kolonialismus um? Mit dem Maji-Maji-Krieg, bei dem sich eine breite Allianz in Deutsch-Ostafrika gegen die repressive Besatzung erhob? Oder mit dem Kolonialkrieg zwischen den deutschen Truppen und den Völkern der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, der als Massenmord endete?
pl Ein Schwerpunkt ist die gläserne Stu­diensammlung, in der die Sammlungs­geschichte thematisiert wird. Wir haben in der Afrika-Sammlung des Museums etwa 75.000 Objekte. Zwei Drittel davon kamen während der Kolonialzeit, nicht nur aus den deutschen Kolonien übrigens. Wir zeigen, wie die Sammlung im Zuge der Kolonialeroberung entstanden ist. Andererseits zeigen wir auch, was alles nicht gesammelt wurde: Europäische Kleidung oder aus Indien importierte Stoffe zum Beispiel, die in Afrika schon lange und verstärkt im 19. Jahrhundert verwendet wurden. Stattdessen haben die
Sammler nach Baststoffen gesucht, weil die angeblich traditioneller waren. Nur hat damals niemand mehr Bast getragen! Es wurde also nicht die Wirklichkeit Af­rikas gesammelt, sondern nur eine 
eu­ropäische Vorstellung von Afrika. Aber natürlich zeigen wir auch die militärische Gewalt und die brutale Unterdrückung.
JFDer Kolonialismus wird in jedem Mo­dul thematisiert. Wir wollen nichts ver­tuschen oder verharmlosen. 
Pl Benin zum Beispiel: Alle sehr schönen, sehr wertvollen Bronzen kamen im Zuge der Zerstörung der Hauptstadt Benins durch die britischen Truppen nach Euro­pa. Wie die Bronzen dann in Berlin gelan­det sind - das wird in der von Peter Junge kuratierten Ausstellung auch erzählt.
Fordert der König von Benin nun diese Bronzereliefs zurück? 
pI Es gab 2007/8 eine große internationa­le Ausstellung zu Benin, und im Katalog dazu hatte der König von Benin in einem Beitrag geschrieben, dass er einige Ob­jekte gern zurückhaben würde. Aber es gab keine offizielle Rückforderung. Auch der nigerianische Staat hat keine gestellt.
Der juristische Aspekt ist das eine: Wurde etwas rechtmäßig erworben, wurde es gestohlen? Aber daneben existiert eine große moralische Grau­zone: Waren die Besatzungsumstände, unter denen das Objekt erworben wurde, vielleicht so, dass sie zu einer Rückgabe verpflichten?
JF Wir recherchieren in all diesen Fällen die Umstände, und die Perspektiven der beteiligten Personen und Institutionen fließen in die Entscheidung mit ein. 
Ich möchte den Blick noch einmal auf die Kritik am Humboldt-Forum richten: Objekte, die größtenteils während der Kolonialzeit nach Berlin gelangten und nun in einem 
wiederauf­gebauten Schloss präsentiert werden - das halten einige für eine neokolo­niale Geste. Diese Kritiker sehen das Humboldt-Forum quasi als eine Art Superzeichen der Restauration. Kön­nen Sie dieses Urteil nachvollziehen? 
JF Eine solche Einschätzung beruht mei­ner Meinung nach auf einem Missver­ständnis. Es gibt tatsächlich Museen, die Objekte aus der Kolonialzeit un­kritisch präsentieren, sodass sich auf gewisse Weise der kolonialistische Blick bis heute fortsetzt - genau das wollen und werden wir nicht tun. Und zu sa­gen, alles soll geräumt und zurückge­geben werden, ist auch keine Lösung. Denn das hieße, die Geschichte wegzu­wischen. Für mich wäre dieses Wegwi­schen eine sehr gefährliche Geste. Wir wollen stattdessen die Chance für eine kritische und auch selbstkritische Aus­stellung nutzen.
Pl Uns ist wichtig, dass die Sammlungen in die Stadtmitte kommen, wo sie eine breitere Rezeption erfahren können, die ihrem sehr, sehr hohen Wert entspricht. Was die Provenienz angeht: Wir 
erfor­schen die Herkunft aller Objekte, die im Humboldt-Forum ausgestellt werden. Das ist manchmal sehr schwierig, aber es wird nichts verschleiert. Wir wollen einen Perspektivenwechsel betreiben, weg von der eurozentrischen Perspek­tive. Nun, falls einige das Schloss noch mit der alten Vorstellung vom Westen und den „anderen", von the west and the rest verbinden, dann dekonstruieren wir diese Vorstellung. Wir hoffen, dieses Bild auflösen zu können, um stattdessen die Vorstellung von einer einzigen Welt wiederherzustellen. Denn das ist, worum es uns geht."

Dazu auch:
KOLONIALISMUS:Wem gehören die Masken?  ZEIT online, 6.6.15
"Das Ethnologische Museum in Berlin, eines der kostbarsten seiner Art, verdankt seinen Bestand in weiten Teilen der kolonialen Gier. Nun soll die Sammlung ins neu erbaute Stadtschloss umziehen. Viele sind darüber alarmiert, und die Frage nach altem Unrecht stellt sich neu."

*Die Wikipedia spricht von einer Kürassieruniform.

Links und Hervorhebungen in den Antworten stammen von Walter Böhme)

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